Es ist ein Trugschluss zu
meinen, spirituell zu leben bedeutet vornehmlich fromm und gesund zu
leben. Mit dieser inneren Einstellung bleiben wir weiterhin mit einem
Auge blind und würden nur die eine Hälfte der Welt sehen. Hier
spielen leider viele das alte Spiel weiter fort – den „guten“
Pol (gesund) zu leben und alles „schlechte“ (ungesund) aus dem
Leben verdrängen zu wollen. Es wird sich in den Fallstricken des
alten Musters von „Gut und Böse“ verfangen und unbewusst auf
tieferer Ebene fortgelebt. Seit Ewigkeiten versucht der Mensch das
Unangenehme aus der Welt zu verbannen und je mehr er sich darum
bemüht, scheitert er letztendlich immer wieder daran. Zum Scheitern
verurteilt ist das Unterfangen deshalb, weil diese verdrängten
Anteile genauso zum Menschsein dazu gehören. Und weil der verdrängte
Anteil kaum Gehör findet, macht er sich über inneren Frust,
Körpersymptome, Wut oder Schicksalsschläge bemerkbar. Dies
geschieht nicht aus Boshaftigkeit oder um bestrafen zu wollen -
sondern der Mensch wird an seine wahre Natur erinnert. In meinen
Sitzungen mit den Klienten arbeiten wir gemeinsam daran, diese
„unangenehmen Pole“ an sich kennenzulernen. Das ist sicherlich
nicht immer sehr einfach und auch nicht unbedingt ein Spaziergang.
Doch jede Seelenarbeit, die etwas auf sich hält, betreibt weniger
„Seelenwellness“, sondern traut sich an die in den Tiefen
gelegenen wunden Punkte der Psyche heran. Und wer diese Mühen auf
sich nimmt und selbst durchlebt, der wird den verdrängten Anteilen
wieder einen Platz im Leben (freiwillig) schenken. Denn dann brauchen
sie nicht mehr im Leben zu stören, sondern werden plötzlich für
das eigene Leben lebensspendend.